Wenn es nach Friedrich Merz geht - nicht. Eine Wurst ist eine Wurst. Schweine- oder Rindfleisch. Schafsfleisch. Pferdefleisch geht vielleicht auch noch. Also aus Fleisch.
Für mich ist eine Wurst etwas, das die Form einer Wurst hat. Alles hat ein Ende und die Wurst hat zwei. Der Fliesenleger zieht Silikonwürste. Und der Bäcker form den Teig zu Würsten, wenn er Brenzeln macht. Die Enden fassen und dann mit Schwung zur Brezel knoten.
Die Wortklauberei funktioniert auch mit Schnitzel. Gerade das Schnitzel! Ein echtes Schnitzel, auch Wiener Schnitzel genannt, ist aus Kalbfleisch. Dafür gibt es in Österreich sogar ein Gesetz. Alles andere ist auch Schnitzel, aber eben nicht das Echte. Es heißt dann Schnitzel Wiener Art. Hierzulande nimmt man es nicht so genau. Schnitzel ist eine Fleischscheibe, egal, woraus sie geschnitten ist. Es gibt auch Putenschnitzel.
Ja, aber die Scheibe ist aus Fleisch, könnte man einwenden. Mir fallen noch Sellerieschnitzel ein. Dazu wird eine dicke Sellerieknolle geschält und in Scheiben geschnitten, paniert (Mehl, Ei, Semmelbrösel) und gebacken. Geschmacklich nicht jedermanns Sache. Das Schnitzel entsteht also durch Scheibe plus Panade.
Darum geht es nicht. Es geht um den Verbraucherschutz. Niemand soll aus Versehen ein Alternativprodukt kaufen. Das ist mir tatsächlich schon passiert: beim Joghurt. Im Kühlregal stehen die Varianten ziemlich dicht beieinander. Einmal eine neue Sorte probiert, Etikett nicht richtig gelesen, schwupps, da hatte ich ein Sojaprodukt auf dem Frühstückstisch. Passiert mir aber nur einmal – ich bin lernfähig.
Beim Fleisch wird es schwierig mit dem Verwechseln. Frisches Fleisch unterliegt strengen Hygienevorschriften. Deshalb ist es sehr sauber getrennt von anderen Lebensmitteln. Die Fleischfachverkäuferin an der Theke meines Vertrauens ist nicht bereit, Schnitzel und Wurst in eine Tüte zu packen oder in eine mitgebrachte Dose zu legen. Da kennt sie nichts.
Apropos Wurst. Mag Salami essen, wer will. Ich bin der Leberwurst-Typ. Weil es so herrlich schnell geht. Brotkiste auf, Brot raus, zwei Scheiben absäbeln, Leberwurst drauf, zuklappen fertig. Und gleich im Stehen essen. Spart Zeit. Der Text schreibt sich nicht von alleine. Aber ganz ehrlich: das funktioniert auch mit anderen Aufstrichen. Ganz grundlegend ist Leberwurst eine bräunliche Streichmasse, die nach Majoran schmeckt. Auch wenn bei den Inhaltsstoffen Linsen an erster Stelle stehen.
Darum geht es nicht. Es geht um den Erhalt unseres kulturellen Erbes. Um echte Weißwürste, echte Thüringer Rostbratwürste oder echte Wiener Würstchen neben dem sächsischen Kartoffelsalat zu Weihnachten. Es geht um Traditionen, die erhalten werden müssen, weil sonst die Gefahr besteht, dass Identitäten verloren gehen. Identitäten, die so wenig scharf umrissen sind, dass das Plakativste gerade gut genug ist, sie zu zementieren. Der deutsche Wähler hat sich, irritiert vom politischen Gerangel und verängstigt von der Weltpolitik, nach rechts bewegt, wo eingeübte Haltungen Stabilität versprechen. Ein Mann ist ein Mann und eine Wurst ist eine Wurst. Um diese Wählerschaft vom rechtsextremistischen Abgrund zurückzureißen, glauben die konservativen Parteien keine andere Wahl zu haben, als Bauernopfer zu bringen. Weg mit der Veggie-Wurst.
Darum geht es nicht. Es geht um marktwirtschaftliche Gemeinheiten. Der gute Ruf von Fleisch, den Generationen von Landwirten aufgebaut haben, wird schnöde von Herstellern pflanzlicher Produkte genutzt. So die These. Man kann sich jetzt fragen, ob der gute Ruf von Fleisch durch Landwirte aufgebaut wurde. War nicht Fleisch hierzulande schon immer ein begehrenswertes Luxusgut, köstlich und teuer? Nach dem Hunger in den Kriegsjahren und der Lebensmittelknappheit nach dem Krieg ist die regelmäßige Fleischportion Zeichen des wirtschaftlichen Aufschwunges. Wie alle kostbaren Nahrungsmittel, die inzwischen in Mengen konsumiert werden, die der Gesundheit abträglich sind, verweist Fleisch auf unseren Wohlstand. Die Massentierhaltung hat einerseits ermöglicht, dass es in ungeahnten Mengen zur Verfügung steht und so billig ist, dass es täglich auf den Tisch kommen kann, andererseits den guten Ruf des Fleisches so beschädigt, dass die Landwirte alle Mühe haben, ihn aufrecht zu erhalten.
Die Produzenten kämpfen um Marktanteile. 2023 wurden in Deutschland pflanzliche Alternativen für 2,2 Milliarden Euro verkauft. Das sind Umsätze, die man gern in der Fleischindustrie belassen würde. Jemand hat seine Lobbyhausaufgaben gemacht. Denn bereits 2020 gab es im EU-Parlament dazu einen Streit, in dem der Generalsekretär des Bauernverbandes COPA Pekka Person eine Rolle spielte. In der aktuellen Debatte positioniert sich der Deutsche Bauernverband (DBV) ganz klar für ein Verbot der „Veggie-Wurst“. Das ist der gleiche Verband, der im vergangenen Jahr die Traktorblockaden gegen die geplante Streichung der Agrardieselsubventionen organisiert hat. Inzwischen ist die Subvention wieder eingeführt. Haushaltsloch? Egal.
Warum stimmt das Europaparlament um eine Sache ab, die so banal zu sein scheint? Weil es um alles geht. Es geht um Ernährung, um Nachhaltigkeit, um Marktregulierung. Es geht um das, worum es immer geht: um Macht und Geld.